Die Angst und das Schreiben

Albert Camus wird die Aussage zugeschrieben, Schriftsteller geworden zu sein aus Liebe zur Welt und zu den Menschen. Das Zitat lief mir jüngst bei Instagram über den Weg. Ich weiß nicht, ob es korrekt ist, aber es hat mich berührt, und ich denke seit einiger Zeit darüber nach, warum.

Die Antwort liegt auf der Hand: Ich schreibe aus einem anderen, beinahe gegenteiligen Grund. Ich sage „beinahe“ gegenteilig, weil es nicht Hass ist. Eher dies: Die Welt erscheint mir seit jeher als bedrohliches Chaos. (Man müsste hier natürlich fragen, was „die Welt“ sein soll, aber ich begnüge mit mit diesem vagen Begriff.) Natürlich ist nicht die Welt das Problem, sondern meine Perzeption derselben. Geschichten sind eine Möglichkeit, die Welt, so wie ich sie wahrnehme, zu ordnen und dieser Ordnung eine Ästhetik zu geben. Was ich erzähle, sind nicht meine unmittelbaren inneren Zustände; andernfalls würde ich ein Sachbuch darüber verfassen. Den Zweck des Ordnens und Reduzierens erfüllt übrigens auch die wissenschaftliche Arbeit, die mein Hauptberuf ist, aber das gehört nicht hierher.

Vor diesem Hintergrund schreibe ich zum einen, um bestimmte Facetten der Welt, die auf mich wirken, zu isolieren. Zu vielem, das um mich geschieht, habe ich keinen wirklichen Bezug; andere Dinge, die vielen normal, gar fröhlich oder liebenswert erscheinen, machen mir Angst. Diese Dinge greife ich auf, und zwar so unmittelbar, wie sie mir erscheinen. Die Perspektive, die ich im literarischen Schreiben einzunehmen versuche, reflektiert diese Dinge gerade nicht, sondern verbalisiert genau die kindliche Angst, die ich empfinde.

Als ich mit dem Schreiben anfing, versuchte ich mich am Horror; zum Glück wurden diese frühen Versuche nie irgendwo abgedruckt (und waren dafür auch viel zu schlecht). Das wurde für mich irgendwann uninteressant, weil Horror ja gerade dadurch entsteht, dass etwas Fremdes, von dem man annehmen kann, es sei bösartig, in eine vertraute Umgebung eindringt. Es ist aber die Umgebung selbst, die mir nicht vertraut sein will. Zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Strukturen, in denen man aufwächst, selbst Ereignisse, die angenehm und trivial erscheinen, wie ein Clubbesuch, eine Party oder ein Abend mit Freunden: das verbindende Element ist die Gefahr des Unberechenbaren und Spontanen. Plötzlich sind fremde Menschen zueinander hingezogen und die soziale Dynamik ändert sich, oder aber jemand steht unter Alkoholeinfluss und sagt Dinge, die keinen Sinn ergeben und auf die man nicht argumentativ reagieren kann. (Ein Grund übrigens auch, warum mir Kinder unheimlich sind.) Mir scheint, dass viele genau das genießen; anderen macht es schlicht nichts aus. Mich besorgt es die meiste Zeit, und dort, wo das nicht so ist, habe ich mich dafür entschieden, mich in einem sozialen Kontext auf eine bestimmte Weise zu verhalten, die entsprechende Gegenreaktionen auslöst, welche wiederum berechenbar erscheinen – etwa durch ein vertrautes Thema, auf das ich ein Partygespräch zu lenken versuche.

Man sagt ja gern, dass das Schreiben eine Form des Verarbeitens sei; warum ich das begrenzt teile, habe ich hier aufgeschrieben. Aber zum Teil stimmt es eben doch: ich schreibe, weil ich mich der Welt nicht entziehen kann; weil sie mir aber oftmals bedrohlich erscheint, gebe ich ihr eine bestimmte Ästhetik und Form, und plötzlich stellt sich ein Gefühl der Souveränität ein: wie ein Stein, aus dem ich ein Zerrbild des Felsens haue, aus dem ich ihn gebrochen habe. Die Zugänge, die mich dabei inspirieren, sind der Magische Realismus von Gabriel García Márquez, viele Gedichte von Gottfried Benn oder Georg Trakl und die Filme von David Lynch. (Nennen will ich hier v.a. „Eraserhead“ und „Inland Empire“.)

Ich frage mich, ob Stephen King das meinte, als er einmal sagte, er schreibe, um nicht verrückt zu werden.

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