Vom Leben im Sumpf

Marcel, wenn du nächstes Jahr um die Zeit das Haus verlässt, ist da ein Sumpf vor deiner Tür. Es wird kochend heiß sein, und morgens wirst du vorsichtig auf eine hölzerne Veranda schleichen, um die Eidechsen in deiner Pflanze nicht zu verscheuchen, die du liebgewonnen hast.

Um mir die Wendungen zu vergegenwärtigen, die mein Leben genommen hat, greife ich auf das tradierte Mittel zurück, mir einen Dialog zwischen meinem gegenwärtigen und meinem damaligen Ich vorzustellen. Das gegenwärtige Ich ist nicht weiser, aber wissender, und was es dem damaligen Ich mitteilt, muss letzterem unglaublich erscheinen. So würde es dem 14-Jährigen ergehen, der hoffnungsvoll (und sich maßlos überschätzend) mit dem Schreiben beginnt, wenn er erfährt, dass er 25 Jahre später einen Buchvertrag unterschreibt. So würde es dem strauchelnden Jungen im Englisch-Leistungskurs gehen, wenn ich ihm sagte, dass er einst in den USA an einer Hochschule dozieren würde. Und so würde es dem Erwachsenen gehen, der nach Hamburg gezogen und dort zufrieden ist, aber nicht weiß, wo er landen wird.

Von allen Volten (ich vermeide hier: „des Lebens“) ist der Umzug nach Florida die Unglaublichste und Kontrastreichste; von der fremden Sprache, die ich täglich höre und spreche bis hin in die kleinsten Sinnesempfindungen: die feuchte Hitze, der pflanzendurchtränkte Waschküchengeruch, die Tiere, der Himmel, der höher und weißer zu sein scheint. Das unerbittliche Wetter. Die Vorbereitungen, die man für etwaige Hurricanes treffen muss. Der Geschmack des Brotes, die süße Pizzasauce, Busse, in denen man an Kabeln ziehen muss, um aussteigen zu dürfen. Seit einem Jahr bin ich hier, und noch immer erstaunt es mich. Und zugleich ist es ein angenehm reduziertes Leben, räumlich begrenzt – auch, aber nicht nur durch die Coronakrise – auf das hölzerne Haus und Spaziergänge entlang der nahen Schnellstraße. Und selbst die dürften weniger werden, jetzt, wo der Sommer beginnt und die Außentemperaturen bis auf 40 Grad steigen können.