Das Schreiben – das literarische wie das wissenschaftliche – fällt nicht leichter, nur weil es weniger Gründe gibt, das Haus zu verlassen. Eher ist es so, als sei alles, was ablenkt, in die eigenen vier Wände gekrochen, und damit meine ich nicht die Möglichkeiten zum Müßiggang (machen wir uns nichts vor: ich spreche von Netflix). Ich meine die Emails, die mir ohnehin überallhin folgen, die Zoom-Gespräche, für deren Terminierung es keine Ausrede gibt, den neuen Aufsatz, der sich aufdrängt, „weil ja jetzt Zeit ist“: kein Ausgang, keine an der Bar vergeudeten Abende, keine Bürohektik.
Für mich, der allein lebt, hat die Isolation einen anderen Effekt als für Menschen mit Familien. Wer mit anderen zusammenlebt, vielleicht Kinder hat, der hat durch die Pandemie womöglich bereits Probleme, sein übliches Arbeitspensum aufrecht zu erhalten – das jedenfalls ist der Eindruck, den ich aus den Berichten in den (sozialen) Medien gewinne. Mir scheint, als ob die Krise dort wie eine räumliche Verdichtung der Ereignisse wirke: Betreuung, Sozialleben, Arbeit, ganz zu schweigen von ökonomischen (und anderen) Sorgen: alles kondensiert auf das Zuhause, das plötzlich auch Büro, Schule, Kindergarten ist. Auf mich hat die Isolation einen anderen Effekt: ich habe den Eindruck, keine Entschuldigung mehr dafür zu haben, nicht produktiv zu sein. Jeden Morgen liegt ein leerer, weißer Tag vor mir, ein Tag wie ein Imperativ: endet er ohne ein Produkt, das sich in Seitenzahlen quantifizieren lässt, war er vergeudet. In der Coronakrise sind alle Tage gleich, und alle sind Arbeitstage.
Ich passe mich an. Besser: ich hatte bereits die Voraussetzungen mitgebracht dafür, mir den Zwang der leeren Tage zueigen zu machen. Ohnehin arbeite ich sehr viel. Aber arbeite ich auch besser? Zu Anfang hatte ich mir Tagespläne zurechtgelegt, stundenbasiert; selbst die Pausen hatte ich eingetragen. 7-9 Uhr Habilitation; 9-10 Uhr Emails; 10-10:30 Uhr Ruhepause. Die Abendstunden lasen sich seit März etwa so: 18 Uhr Abendessen; 18:30-21 Uhr Kurzgeschichte schreiben. Diese Einteilung endete mit Einreichen jener Kurzgeschichte (es handelte sich um „Korallen“ mit Schwartz; sie wurde inzwischen von den HerausgeberInnen angenommen). Bis Ende Juni arbeite ich nun allein an meiner Habilitationsschrift (wer mehr zu meiner Forschung erfahren mag: hier), und die Tagesstruktur wurde obsolet. 7 bis 23 Uhr: Habilitation, mit Unterbrechungen, die mal größer, mal kleiner ausfallen, aber jede davon vergeht nicht ohne schlechtes Gewissen.
Als jemand, der allein lebt, heißt Schreiben in der Coronakrise, einem permanenten Aufruf zur Arbeit ausgesetzt zu sein und keinen Grund dafür zu haben, Nein zu sagen. Souverän bin ich allenfalls in subsidiärer Hinsicht, nämlich darin, wie ich meine Arbeit strukturiere auf diesem weißen Blatt, das jeder Tag ist. Ist das eine Beschwerde? Nein. Denn über alledem liegt der bittere Gedanke, dass das, verglichen mit dem, was andere in der Krise erleben und erleiden müssen, ein Luxus ist.